SchattenSchwur by Lénard Nané

Autor:Lénard, Nané [Lénard, Nané]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: CW Niemeyer Buchverlage GmbH
veröffentlicht: 2014-08-18T22:00:00+00:00

Montes

* * *

So richtig konnte sich Dr. Karin Kukla nicht über den Wein freuen, der da gestern vor ihrer Tür gestanden hatte, obwohl sie ihn zweifelsohne sehr gerne trank. Sie fand aber, es hätte keinen Stil, eine Flasche einfach dort abzustellen, ohne jeglichen Gruß oder eine Karte. Selbst wenn der Schenkende noch unerkannt bleiben wollte, hätten ein paar Zeilen die Sache interessant gemacht. So jedoch konnte sie sich zwar nicht dazu überwinden, den Montes sofort wegzugießen, aber sie fand auch keinen Gefallen daran und hatte ihn daher in ihren Keller verbannt.

Als sie am Morgen die Zeitung aus ihrem Briefkasten geholt hatte, war wenigstens die vage Hoffnung dagewesen, dass sich ein Brief darin befinden könnte. Fehlanzeige! Am liebsten hätte sie alles vergessen. Die Blumen, die Kärtchen, die Pralinen. Sie hatte sich zum Affen gemacht. Die Sentimentalität einer präklimakterischen, alleinlebenden und darum höchst unbefriedigten Frau, die musste sie sich nun selbst vorwerfen. Und das, obwohl sie von genug Prozessen wusste, bei denen sich die Beteiligten aufgrund von Gefühlen vollständig zum Affen gemachte hatten.

Karin Kukla hatte die Nase gestrichen voll, als sie zumGericht fuhr. Über ihre eigene Dummheit schimpfte sie während der gesamten Autofahrt und steigerte sich so in eine höchst miserable Laune. Im Grunde kannte man sie so, hatte sich aber schnell daran gewöhnt, dass die Staatsanwältin derzeit an einem Anfall von Freundlichkeit zu leiden schien. Der Pförtner erkannte als Erster, dass diese Phase vorbei war und dass nun wieder ein rauerer Wind durch die ehrwürdigen Flure wehte.

Sie selbst beschloss, alle Schriftstücke des Unbekannten zu verbrennen und seine Geschenke zu entsorgen – auch den Montes, wenn auch schweren Herzens ob des köstlichen Tröpfchens.

Mit diesem Entschluss ging es ihr endlich am Abend nach einem Tag des Leidens besser. Sie war wieder in der Wirklichkeit angekommen. Aber sie musste auch zugeben, dass sie einsam war, sonst hätte sie sich niemals der Vorstellung hingegeben, jemand aus ihrem Umfeld könne in sie verliebt sein.

Wie gut ihre Selbstmanipulation funktionierte, stellte sie in dem Moment fest, als sie vor ihrer Haustür stand und auf den großen Strauß Rosen blickte. Jemand hatte ihn in einer Vase am Rand des Eingangs drapiert und eine Karte angehängt.

Alle ihre guten Vorsätze waren dahin. Was für ein Strauß! Nein, das war kein Strauß, das war ein Traum aus englischen Rosen …

Der Tag war plötzlich wieder schön. Mit unruhigen Fingern griff sie nach der Karte und öffnete sie:

Verehrteste,

bitte entschuldigen Sie, dass ich den Wein so ohne eine Nachricht vor Ihrer Tür zurücklassen musste. Das war nicht meine Absicht und nur den Umständen geschuldet. Ich hoffe, er wird Ihnen dennoch munden. In fernen Tagen würde ich mich glücklich schätzen, Ihnen einmal zuprosten zu dürfen.

Sehen Sie das Bouquet dieser Rosen jedoch nicht nur als ein Zeichen meines Bedauerns, sondern vor allem als eines meiner größten Wertschätzung. Die Vase ist ein Erbstück. Sie möge Ihnen ebenfalls Freude bereiten und meine Versicherung sein, sie immer wieder füllen zu dürfen.

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